Ethik, Religion, Kirche

Interview mit Ulrich Knoepfel, Mitglied des Rates der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz

Die Kirchen und die kirchlichen Hilfswerke nehmen in der schweizerischen Sozialpolitik eine wichtige Rolle ein. Sie unternehmen viele Aktivitäten zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen. Über die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen und wie Philanthropie im kirchlichen Umfeld funktioniert, spricht Ulrich Knoepfel:

Wie wichtig ist die Philanthropie für Organisationen und Projektträger mit kirchlichen oder ethischen Themen in der Schweiz?

Im schweizerischen System mit den Landeskirchen, die vor allem von Kirchensteuern leben, hat die Philanthropie heute keine grosse Relevanz. Die Landeskirchen sind mit Geldmitteln eigentlich recht grosszügig versorgt, trotz Mitgliederschwund. Natürlich könnte man immer mehr finanzielle Geldmittel gebrauchen. Bis heute sind sich die Kirchen nicht gewohnt, auf die Suche zu gehen nach Sponsoren und Unterstützerinnen für ihre Aktivitäten. Für spezielle Projekte, wie bspw. für ein Jugendpfarramt oder einen Jugendtreffpunkt, mit Förderverein, wird immer wieder gesammelt, aber das ist nicht die Regel. Es ist aber zu beobachten, dass projektbezogenes Geldsuchen immer öfter eingesetzt wird. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig, denn gerade die reformierte Kirche ist mit Fundraising nicht wenig vertraut. Anders sieht es auf der katholischen Seite aus. Dort kennt man Stiftungen, die beispielsweise ein Kloster, eine Kapelle oder eine Kirche unterstützen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Tradition als Überbleibsel aus dem Pfründenwesen kommt. Ich bin klar der Meinung, dass die Kirchen sich überlegen sollten, wie sie künftig alternative Finanzquellen erschliessen können, da ihre Mitgliederbasis abnimmt.

Es gibt ja die kirchlichen Hilfswerke, HEKS, Caritas etc. Was spielen diese für eine Rolle?

Die Werke sammeln für die Zwecke, welchen sie sich verpflichtet haben. Meistens sind sie wie HEKS, Brot für Alle (BFA), Mission21 und Caritas schwerpunktmässig in der Entwicklungshilfe aber auch in der Armutsbekämpfung tätig. Einige Hilfswerke wie BFA engagieren sich auch politisch. Brot für Alle ist ursprünglich mit Sammelaktionen für andere Werke gestartet. Im Laufe der Zeit hat BFA immer mehr eigene Aktivitäten entwickelt, auch politisch, ethisch motivierte Aktionen. Diese Aktionen kommen nicht den Landeskirchen zugute, sondern spezifischen Projekten, allenfalls Kirchen in anderen Ländern.

Welches sind die wichtigsten Akteurinnen und Akteure im Bereich Philanthropie und Kirche?

Das sind die Landes- und Freikirchen sowie die bekannten Hilfswerke. Nicht zu vergessen ist, dass ein grosser Teil der Arbeit ehrenamtlich geleistet wird, vor allem in den Gemeinden. Zum Beispiel bei Anlässen wie Basaren oder «Suppenzmittagen», die von lokalen Kirchgemeinden getragen werden.

Wie gut funktioniert die Philanthropie im religiösen Umfeld und bei kirchlichen Projekten?

Sie ist nicht sehr verbreitet. Ich bin der Meinung, künftig sollte mehr und für ganz konkrete Projekt gesammelt werden, nicht einfach «für die Kirche». Das ist zu allgemein, zu generell. Die Leute unterstützen nicht gerne Institutionen, sie geben ihr Geld viel lieber für einen bestimmten Zweck, bspw. ein Jugendpfarramt oder für etwas Diakonisches für die Seniorinnen und Senioren. Steht ein solches Projekt, kann man Stiftungen für Unterstützung angehen. Dass die wenigsten Stiftungen nur in Projekte und nicht in den Betrieb investieren, finde ich nicht gut. Denn die Kirchen haben auch einen kulturellen Wert, nämlich die Pflege der Gemeinschaft. Und die Kirchengemeinschaft muss leben können. Das kann sie nicht mit nur mit herausragenden Projekten.

Und wo liegen die grössten Herausforderungen im Bereich Philanthropie und Kirche?

Heutzutage haben die Landeskirchen den Charakter von verwalteten Institutionen, die es aufgrund von kantonalen Kirchengesetzen einfach gibt. Ich bin der Meinung, dass diese in der aktuellen Zeit des Umbruchs wieder mehr zu Bewegungen werden sollten. Dazu braucht es Leute, die die Sache aus innerem Engagement vorantreiben wollen, hin stehen und sich exponieren. In unserer Gesellschaft ist Religion leider tabuisiert. Niemand spricht am Stammtisch über seinen Glauben. Tut das jemand, wirkt es fast peinlich. Dieses Tabu sollten wir überwinden. Sprechen über den Glauben sollte wieder normal und salonfähig werden und nicht nur den besonders «Frommen» überlassen bleiben.

Hat diese Starre nicht auch etwas mit der Abbildung der gesamten Gesellschaft zu tun, Thema Gleichstellung von Frau und Mann, Thema LQBTQ, etc.?

Ja, vielleicht ist es das letzte Tabu, dass noch gebrochen werden muss. Debatten über das, was die Gesellschaft beschäftigt, sind wichtig. Alle Mitglieder einer Kirchengemeinde sollen sich wohlfühlen. Es soll ihnen möglich sein, ohne Hemmungen über alles zu sprechen, was sie bewegt. Für Transgendermenschen bspw. ist heute möglicherweise ein kirchliches Milieu nicht immer einfach. Denn auch das Thema Ehe für alle wird in der Kirche sehr kontrovers diskutiert. Die Kirche selber ist teilweise in überkommenen Vorstellungen gefangen.

Wofür spenden Sie persönlich und was ist Ihre Motivation?

Jährlich setze ich mich zweimal hin und mache Spenden. Meistens sind es kirchliche oder kirchennahe Hilfswerke. Weiter unterstütze ich unter anderem ein Herzensprojekt, das sich für das Überleben des Orang Utans einsetzt und Sehbehindertenstiftungen.

ÜBER DEN AUTOR

Ulrich Knoepfel

Ulrich Knoepfel studierte an der Universität Zürich Recht und später an den Universitäten Basel und Zürich Theologie. Während rund 23 Jahren war er Gemeindepfarrer in Obstalden Kanton Glarus. Seit 2010 hat Ulrich Knoepfel das Amt als Präsident der Landeskirche Glarus inne und seit Januar 2017 ist er Mitglied des Rates (Exekutive) der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS in Bern.