Entwicklungszusammenarbeit

Ein Interview mit Franca Palmy und Anita Baumgartner, CO-Leiterinnen, Partnerschaften und Philanthropie bei Helvetas

Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind wichtige Felder der Philanthropie. Nachhaltige «Hilfe zur Selbsthilfe» steht dabei im Vordergrund. Franca Palmy und Anita Baumgartner beantworten gemeinsam Fragen zum Themenbereich der Entwicklungszusammenarbeit.

Wie wichtig ist die Philanthropie für die Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz?

Welches sind die wichtigsten Akteurinnen und Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe?

Die allerwichtigsten Akteure sind die Menschen in den Entwicklungsländern selbst. Es muss darum gehen, sie dabei zu unterstützen ihren eigenen Entwicklungsweg zu gehen, ihre Prioritäten und Bedürfnisse zu identifizieren und ihre Rechte gegenüber ihrer Regierung einzufordern – bspw. das Recht auf Wasser oder Bildung. Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen in den jeweiligen Ländern nehmen eine wichtige Rolle für die Entwicklung ein. Sie leisten wichtige Aufgaben für die Bevölkerung und vertreten diese auch gegenüber den Behörden. Oft brauchen sie aber selbst organisatorische und fachliche Stärkung, damit sie diese Rolle gut einnehmen können. Nicht vergessen dürfen wir die lokalen Regierungen, die für die Bereitstellung der öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur grundsätzlich verantwortlich sind. Und wichtig ist auch der Privatsektor, der für die wirtschaftliche Entwicklung, für Jobs, Einkommen und Versorgung bedeutend ist. Internationale Hilfswerke, private Stiftungen und staatliche Entwicklungsagenturen können mit Geld und fachlichem Rat helfen. Dabei haben private Hilfswerke den Vorteil der Flexibilität und der grossen Nähe zu den Menschen. Staatliche Institutionen hingegen haben mehr Budget und können grössere, längerfristige und komplexere Vorhaben stemmen, wie etwa eine Bildungsreform.

Gibt es Unterschiede zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit?

Die Ansätze sind unterschiedlich, auch wenn von beiden Seiten Annäherungen stattfinden. In der klassischen humanitären Hilfe unterstützt man vereinfacht gesagt eher von aussen bei akuten Problemen wie Katastrophen oder Konfliktsituationen. Zum Beispiel baut eine Wasserversorgung, wenn es kein Wasser gibt für Vertriebene. Bei der Entwicklungszusammenarbeit schaut man das ganze System an und unterstützt die Gemeinden dabei, ihre Verantwortung wahrzunehmen: eine Ausschreibung vorzunehmen, Geld zu beschaffen, eine Firma zu beauftragen, den Bau zu überwachen und ein Unterhalt-System aufzubauen.

Wie gut funktioniert die Philanthropie in der Entwicklungszusammenarbeit?

Die Ergänzung der privaten Hilfe zur öffentlichen Zusammenarbeit und die direkte Förderung lokaler Initiativen sind sehr geschätzt. Auch die Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und Ideen kann befruchten. Allerdings ist es nach wie vor eine Herausforderung, dass Förderstiftungen und Projektträger für die richtigen Projekte zusammenfinden. Problematisch kann es werden, wenn Geldgeber ihre eigenen Vorstellungen ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten oder Prioritäten umsetzen möchten, oder wenn ihre Hilfe die Abhängigkeit verstärkt, weil sie «Hilfe verteilt», aber nicht die Selbsthilfe fördert. Schwierig für Projektträger wird es immer dann, wenn die Förderer nicht bereit sind, Kosten im Zusammenhang mit Wissensmanagement, Sicherheit, Compliance, Forschung und Entwicklung oder Marketing zu bezahlen. Denn keine Organisation kann heute ohne diese Bereiche gute Arbeit leisten und dabei gesund und innovativ bleiben.

Und wo liegen die grössten Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit?

Das Zusammenspiel aller Akteure muss besser zugunsten der Ärmsten funktionieren. Dies ist eine Herausforderung, weil oft die staatlichen Strukturen schwach sind, Bildung und Knowhow oder auch wirtschaftliche Akteure fehlen. Es gibt riesige Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit. Manche denken, die Entwicklungszusammenarbeit löse alle Probleme, auch die, die andere Ursachen haben, zum Beispiel ungerechte Handelsbeziehungen. Zudem sind die Mittel trotz gegenteiliger Meinung in der Öffentlichkeit insgesamt immer noch bescheiden. Pro Kopf wurden seit 1960 rund 500 Franken ausgegeben. Dass man damit nicht alle Menschen aus der Armut befreien kann, dürfte klar sein. Es bräuchte nach wie vor viel mehr. Der amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs sagte einmal in einem Interview: «Man gibt ein wenig Hilfe, aber nicht genug, um das Problem wirklich zu lösen. Wenn Sie ein Medikament in nicht ausreichender Dosis erhalten und es nicht wirkt, schliessen Sie vermutlich daraus, dass es ein schlechtes Medikament ist. Eigentlich müssten Sie aber zum Schluss kommen, dass es nicht in genügender Menge verabreicht worden ist.» Und dann gibt es unbestritten immer noch Projekte, die den eigentlichen Zielen der Entwicklungszusammenarbeit zuwiderlaufen. Etwa indem sie mehr den Interessen des Nordens dienen, oder Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten vergrössern.

Wofür spenden Sie persönlich und was ist Ihre Motivation?

Franca Palmy: Abgesehen von «meiner» Organisation unterstütze ich noch zwei weitere Organisationen, die in anderen für mich wichtigen Bereichen tätig sind. Wir sind hier in der Schweiz unglaublich privilegiert, in vielerlei Hinsicht. Wir wissen, dass es sehr vielen Menschen anderswo an grundlegenden Dingen mangelt, die für uns selbstverständlich sind. Das zu wissen und nichts dafür zu tun, um die Ausgangslage für alle gerechter zu machen, geht für mich nicht. Anita Baumgartner: Ich spende ebenfalls für Helvetas und drei anderen Organisationen, die sich mit Umweltschutz und Menschenrechten befassen sowie für ein Zürcher Sterbehospiz, das eine Freundin von mir sehr liebevoll in den Tod begleitet hat.

Sind Sie ehrenamtlich engagiert?

Franca Palmy: Ja, immer wieder. Zurzeit engagiere ich mich privat für die Konzernverantwortungsinitiative. Anita Baumgartner: Neben der Familienzeit mit zwei Kindern und dem beruflichen Engagement bleibt mir aktuell zu wenig Zeit, mich ehrenamtlich zu betätigen. Sobald wieder etwas mehr Luft da ist, würde ich mich gerne in einem Stiftungsrat engagieren.

ÜBER DIE AUTORINNEN

Franca Palmy und Anita Baumgartner

Franca Palmy: Nach einem Geschichts- und Politologiestudium an der Universität Zürich war Franca Palmy acht Jahre im Flüchtlings- und Migrationsbereich tätig, zuerst beim Kanton Zürich, dann als Länderanalystin beim Bund. Später wechselte sie in die Privatwirtschaft und arbeitete mehrere Jahre als Kommunikationsberaterin, bevor sie 2012 zu Helvetas stiess.

Anita Baumgartner war ursprünglich Journalistin und Redaktorin, bevor sie im Jahr 2000 als IKRK-Delegierte in die humanitäre Hilfe wechselte. Seit 2003 bringt sie Stiftungen und Philanthropen mit den richtigen Projekten zusammen, zuerst bei Médecins Sans Frontières (MSF) und seit 2010 bei Helvetas.