Gesundheit
Interview mit Roger Staub, Geschäftsführer Pro Mente Sana
Das Gesundheitswesen ist ein klassisches Thema für die Philanthropie. Gemäss dem Schweizer Stiftungsreport widmen sich rund zehn Prozent der Schweizer Stiftungen dem Thema Gesundheit, mit unterschiedlichsten Ausprägungen. Wie die Zusammenarbeit und Kooperationen im Gesundheitswesen funktionieren oder eben nicht, darüber spricht Roger Staub:
Wie wichtig ist die Philanthropie im Gesundheitsbereich?
Das Schweizer Gesundheitswesen ist eigentlich ein «Krankheitswesen». Die Schweizer Gesundheitsindustrie kostet pro Jahr über 80 Milliarden Franken oder rund zwölf Prozent des Brutto-Inland-Produkts. Leider sind überhaupt keine Anreize ins System eingebaut, die gesund sein bzw. gesund werden und bleiben fördern. Das System lebt gut von schweren Krankheiten und von Chronifizierung. Prävention und Gesundheitsförderung sind chronisch unterfinanziert – aber das ist politisch so gewollt. Die Lobbyisten des Krankheitswesens sorgen dafür, dass das Geschäft so weiter geht. Ob die Philanthropie staatliche Aufgaben übernehmen soll und Gegensteuer geben kann, wäre zu diskutieren.
Wie meinen Sie das?
Wenn die Philanthropie in die Lücke springt und Gesundheitsförderung und Prävention mitfinanziert, tut sie zwar Gutes, aber das nimmt auch politischen Druck weg, dass das System endlich korrigiert würde. Noch wichtiger ist aus meiner Sicht allerdings die Überwindung des Grabens zwischen Gesundheits- und Sozialwesen. Denn die beiden Systeme sind nicht verbunden. Dabei ist es eigentlich offensichtlich: gerade bei psychischen Beeinträchtigungen ist ohne soziale Sicherheit an Gesundung nicht zu denken. Mich frustriert besonders, dass wir für Gesundheit und Soziales unglaubliche Summen pro Jahr ausgeben und trotzdem so viele Mitmenschen haben, denen es nicht gut geht. Und dies, weil die Systeme fragmentiert sind, jedes System nur für sich schaut. Der soziale Status und die individuellen Lebensbedingungen haben einen relevanten Einfluss auf die Gesundheit eines einzelnen Menschen. Würden die Bedingungen für Arme verbessert, wären sie gesünder. Gesellschaftlich liegt der Fokus aber auf der Gesundheit und nicht auf der Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Die rechte Propaganda gegen «Sozialschmarotzer» tut das ihre dazu.
Welches sind die wichtigsten Akteurinnen und Akteure in der Philanthropie im Gesundheitswesen?
Viele Stiftungen haben in ihrem Stiftungszweck «Gesundheit» und/oder «Soziales». Leider kümmern sich erst wenige aktiv um die psychische Gesundheit, obwohl gemäss WHO die psychischen Krankheiten jetzt schon zu den Top-Krankheiten in westlichen Ländern gehören und sehr hohe Kosten verursachen. Leider wirkt das gesellschaftliche Tabu, über psychische Krankheiten zu sprechen auch in den Stiftungen. Einzelne Stiftungen haben aber die Notwendigkeit erkannt, allen voran die Beisheim Stiftung.
Wie gut funktioniert die Philanthropie im Gesundheitswesen?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe aber den Eindruck, dass in der Philanthropie viele Stiftungen «Follower» und nur sehr wenige «Pioniere» sind. Es werden ähnliche Projekte finanziert, die schon andere bereits finanzieren. Und so sind aus meiner Sicht «Ernährung und Bewegung» bei Kindern und Jugendlichen eher überfinanziert. Dafür fehlt das Geld für psychische Gesundheit. Obwohl wir mit unseren «Erste-Hilfe-Kursen» für psychische Gesundheit mit dem Fokus Jugendliche ein wissenschaftlich fundiertes und nachgewiesen wirksames Angebot in die Schweiz bringen, haben wir grosse Mühe, dafür Geld zu finden. Ich würde mir mehr Innovationsbereitschaft und «Risikolust» auf Seiten der Philanthropie wünschen: Neues entsteht nur, wenn gute Ideen umgesetzt und erprobt werden. Nur so kann Evidenz geschaffen werden, dass etwas funktioniert. Wer nur Erprobtes finanziert trägt wenig zu Fortschritt und Weiterentwicklung bei.
Und wo liegen die grössten Herausforderungen in der Philanthropie beim Thema Gesundheit?
Ich würde mir wünschen, dass die Stiftungen noch mehr ihre Türen für die Fundraiser öffnen würden. Denn jede Stiftung erwartet wieder andere Eingaben und Formen von Gesuchen. Wenn zum Vornherein klar ist, dass nichts daraus wird, kann auf beiden Seiten viel gespart werden. Als Projektträger wäre es gut zu wissen, was der übliche Finanzierungsrahmen einer Stiftung ist, sind es 2’000 oder 100’000 Franken? Im offenen Gespräch sollte dies vor der Gesuchstellung geklärt werden können.
Was würde die Situation verbessern?
Ein grosser Fortschritt wäre, wenn die Stiftungen erkennen würden, dass Gesundheit und Soziales zusammen gehören und auch so angeschaut würden. Bei Präventionsprojekten sollte darauf geachtet werden, dass jene profitieren, die wirklich benachteiligt sind. Bspw. wäre es wichtig, die Bewegungsprojekte in Schulen in Ortschaften zu bringen, in welchen eine sozial schwächer gestellte Bevölkerung lebt. Toll wäre auch, wenn Stiftungen die grossen Prioritäten im Gesundheitswesen erkennen würden. Sie sollten stets etwas Vorsprung haben, erkennen, wo es Bedarf gibt und Innovationen anschieben. Ich könnte mir einen Beirat bei SwissFoundations vorstellen, der sich regelmässig trifft. Fachleute, welche die angesprochenen Probleme besprechen und die grossen Lücken benennen.
Wo sind Sie ehrenamtlich engagiert?
Ich bin Mitbegründer und seit 2007 Präsident der Stiftung Historische Zürichsee Boote (Stiftung HZB). Wir sammeln an den Zürcher Seen gebaute «Pläsir-Boote», aus der Zeit, als die Region das europäische Mekka der Bootsbaukunst für die Freizeit-Schifffahrt war. Wir restaurieren die Boote und haben rund 100 «Kapitäne», die die Boote in einer Art «Mobility-System» nutzen. So finanzieren wir den Unterhalt und den laufenden Betrieb. Seit der Gründung sind es bereits acht Schiffe geworden, die zusammen über 700 Jahre alt sind. Das macht mir viel Spass und wird mich nach der Pensionierung weiter beschäftigen.
ÜBER DEN AUTOR
Roger Staub
Roger Staub MPH, MAE leitet seit 2017 die Geschäftsstelle der Stiftung Pro Mente Sana in Zürich. Über 30 Jahre seines Berufslebens hat er der HIV-Prävention und Aids-Arbeit gewidmet, zuerst als Mitbegründer der Aids-Hilfe Schweiz (1985), in verschiedenen Funktionen im Bundesamt für Gesundheit, als Leiter der STOP AIDS-Kampagne und als Delegierter für Aidsfragen des Kantons Zürich. Als Sekundarlehrer phil II an der Uni Zürich ausgebildet, hat Roger Staub 1995 einen Master of Public Health (Uni Bern) und 2003 einen Master in angewandter Ethik (Uni Zürich) erworben.