Während in der Schweiz in den letzten Monaten des Untergangs des Bankgeheimnisses vor zehn Jahren gedacht wurde, blickt man 2019 im Fürstentum Liechtenstein (das ja gerade sein dreihundertjähriges Landesjubiläum feiert) auf zehn Jahre des neuen Stiftungsrechts zurück, welches im April 2009 in Kraft getreten ist. Spätestens auf den zweiten Blick haben diese beiden Ereignisse einen inneren Zusammenhang: Die zwei Nachbarstaaten mit dem Schweizer Franken als Landeswährungen mussten infolge des internationalen Drucks ihre Finanzplatzstrategien anpassen. In Liechtenstein war die Totalrevision des Stiftungsrechts ein wichtiger Pfeiler dieser Anpassung.
Liechtensteiner Stiftungen: gemeinnützig – privatnützig – gemischt
Ein Kernelement davon ist die Definition des Typs der «Gemeinnützigen Stiftung» liechtensteinischen Rechts, welche sich deutlich abhebt von den traditionellen privatnützigen Stiftungen, den Familienstiftungen, die weiterhin bestehen bleiben können und im Stiftungsrecht ebenfalls neu geregelt wurden. Diese privatnützigen oder eigennützigen müssen auch künftig nicht in einem Stiftungsregister eingetragen sein und unterstehen nicht der Stiftungsaufsicht (STIFA). Nach einer Schrumpfkur infolge des Abflusses von Schwarzgeldern sind von den ursprünglich etwa 50’000 Privatstiftungen noch etwa 16’000 übriggeblieben. Und diese bleiben eine Welt für sich, die uns hier nicht weiterbeschäftigen soll. Im Gegensatz zu den privatnützigen Stiftungen sind die gemeinnützigen Stiftungen steuerbefreit.
Angesichts der eh schon tiefen Körperschaftssteuern in Liechtenstein ist dieser «Bonus» der Steuerbefreiung jedoch nicht so hoch.
Aus Schweizer Sicht gewöhnungsbedürftig ist, dass eine Stiftung als gemeinnützig gelten kann, auch wenn sie bloss «überwiegend» und nicht ganz den gemeinnützigen Zwecken verpflichtet ist. Es wurde sogar der Typ der «gemischten Stiftung» mit teils gemeinnützigen, teils eigennützigen Zielen geschaffen. Derartige Stiftungen sind freilich nicht steuerbefreit. Im Zusammenhang mit Gemeinnützigkeit und Steuerbefreiung muss dabei beachtet werden, dass das liechtensteinische Stiftungsrecht eine besondere Komplexität aufweist, indem das Gesetz einerseits einen privatrechtlichen andererseits einen steuerrechtlichen Begriff der Gemeinnützigkeit kennt. Bei den Kriterien für die Steuerbefreiung der gemeinnützigen Stiftung scheinen die liechtensteinischen Steuerbehörden dabei ähnlich konsequent zu handeln wie deren Pendants in der Schweiz.
Aufsicht, Governance, Forschung
Eine nicht minder wichtige Neuerung ist die konsequente Implementierung einer zweistufigen Kontrolle bei den gemeinnützigen Stiftungen: Einerseits über eine (weitgehend) obligatorischen Revisionsstelle, andererseits über eine staatliche Stiftungsaufsicht mit weitgehenden Befugnissen.
Es besteht neu eine Registrierungspflicht insofern als eine gemeinnützige Stiftung erst mit dem Eintrag im Handelsregister Rechtspersönlichkeit erlangt. Nach einem steilen Anstieg zu Beginn hat sich die Zahl der eingetragenen gemeinnützigen Stiftungen zwischen 1300 und 1400 eingependelt.
In gewissem Sinne folgerichtig wurde 2010 ein eigener Stiftungsverband gegründet, die Vereinigung liechtensteinischer gemeinnütziger Stiftungen und Trusts (VLGST). Mit ihren mittlerweile etwa 90 Mitgliedern erreichen die liechtensteinischen gemeinnützigen Stiftungen einen Organisationsgrad, der immerhin etwa doppelt so hoch ist wie jener in der Schweiz. Die VLGST will sich der Förderung der Philanthropie widmen und möchte einen Beitrag zur Reputation des Finanzplatzes leisten. Dazu erhebt die Vereinigung auch periodisch statistische Zahlen, da die staatliche Verwaltung (ebenso wenig wie in der Schweiz) solche nicht liefert. Auch wenn diese nicht repräsentativ sein können, bieten die Umfrageresultate doch starke Indizien, dass sehr hohe 90 % der Ausschüttungen durch die gemeinnützigen Stiftungen im Ausland (auch in der Schweiz) getätigt werden.
Seit 2009 existiert an der Universität Vaduz auch ein Lehrstuhl für Gesellschafts-, Stiftungs- und Trustrecht, der von Prof. Francesco A. Schurr besetzt ist. Mit seiner Forschungs-, Lehr- und Vortragstätigkeit ist er auch ein engagierter und kundiger Kommentator des Stiftungsplatzes Liechtenstein.
Welche Lehren für die Schweiz?
Manches, was Sie hier lesen, mag Sie an die Verhältnisse in der Schweiz erinnern, der in den vergangenen zwanzig Jahren ebenfalls grosse Veränderungen erfahren hat.
Aus Schweizer Sicht ist allerdings einiges am liechtensteinischen Stiftungsrecht neuen Stils «gewöhnungsbedürftig». Dessen erstaunlich hohe Detaillierungsgrad auf den Seiten 384-406 des Personen- und Gesellschaftsrechts kontrastiert mit den knappen zehn Artikeln im Schweizerischen Ziivilgesetzbuch. Für einmal wird die Design-Lösung durch die organisch gewachsene geschlagen, finde ich.
Kaum mit hiesigen Vorstellungen vereinbar ist das mögliche Recht eines Stifters, die Stiftungsgründung zu widerrufen. Dass eine gemeinnützige Stiftung die Steuerbefreiung erhält, auch wenn nur ein bestimmter Personenkreis durch die Stiftungstätigkeit gefördert wird, der Destinatärskreis somit ein geschlossener ist, ginge bei unseren Steuerbehörden auch nicht durch. Die spezifisch liechtensteinische Regelung, wonach in einem Stiftungsrat mindestens ein Mitglied befugter Treuhänder sein muss, widerspricht dem Empfinden in der Schweiz, ebenso wie die Regelung, wonach juristische Personen Mitglied eines Stiftungsrats sein können.
Die Flexibilität des liechtensteinischen Stiftungsrechts hat, z.B. mit der Option einer gemischten Stiftung, etwas Verführerisches. Aber den Langzeit-Härtetest hat es – mit Blick auf die immer rigoroseren internationalen Finanzmarkt- und Transparenz-Regelungen (AIA lässt grüssen!) – auch nach zehn Jahren noch nicht bestanden.
Die Website der Vereinigung der liechtensteinischen gemeinnützigen Stiftungen und Trusts VLGST hält eine Vielzahl von Unterlagen und Publikationen zum Stiftungsplatz Liechtenstein bereit.
Veranstaltungshinweis:
Die Universität Vaduz organisiert im Rahmen des Liechtensteinischen Stiftungsrechtstags 2019 am 14. November eine Tagung mit dem Titel «10 Jahre Neues Stiftungsrecht: Bestandsaufnahme und Perspektiven».
Illustration: Benno Schubiger