Die «Letzten Dinge»
Früher, als das Leben zwar hochanspruchsvoll aber eigentlich unterkomplex war, trat man einem Sterbeverein bei, einer Art Solidarversicherung, welche dem Mitglied eine ordentliche Bestattung garantierte (und dessen Angehörigen vor hohen Beerdigungskosten verschonte). Wenn man gut katholisch war, wurde man vielleicht Mitglied einer Gut-Tod-Kongregation (um mit ihr den lieben Gott um gnädige Todesumstände zu bitten). Die Errichtung einer Jahrzeitstiftung zwecks jährlichen Gedächtnisses an einen Verstorbenen gehörte zum Glauben (und zum guten Ton).
Heutzutage, da das Leben zwar bequem, dafür hochkomplex geworden ist, hat auch der Tod einen anderen Stellenwert bekommen: Mangels «Jenseitsperspektive» (weil sehr vielen Menschen der Glaube an ein Leben nach dem Tod abhandengekommen ist) hat die individuelle Nachlassregelung eine veränderte Bedeutung erhalten. Mit gestiegenem Wohlstand und Komplexität sind auch die Sorgen gewachsen, die «Letzten Dinge» gut zu regeln. Wie anspruchsvoll eine solche Regelung sein kann, erkennen Sie beispielsweise wenn Sie sich durch www.deinadieu.ch durchklicken.
Legatemarketing
Um diese «Letzten Dinge» hat sich längst ein bedeutender Marktzweig gebildet. Schliesslich werden in der Schweiz jährlich über 60 Milliarden Franken an die nächste Generation vererbt. Da ist doch klar, dass sich viele davon eine Scheibe abschneiden möchten. Doch lassen wir die Advokaten, Notare und Seelsorger vorderhand beiseite und wenden uns zuerst den Hilfswerken und anderen NPO zu. Nicht wenige von Ihnen «erwirtschaften» über die Hälfte ihres Umsatzes über Legate. Beim Begriff Legat ist der Tod gedanklich nicht fern; dafür sind Tabus nahe. Darum sind begriffliche Subtilität gefragt und der übliche Fundraiser-Sprech verpönt. Dass man auch ohne sprachlichen Eiertanz sympathisch für die Idee des Vermächtnisses werben kann, hat vor wenigen Jahren der gelungene TV-Werbespot «My Happyend» bewiesen. Im Stil potentiell zwar heikel, konnten sich die zahlreichen an diesem Spot beteiligten Hilfswerke bei ihrem Mut immerhin gegenseitig stützen: Keines davon wurde der Pietätlosigkeit beschuldigt.
Mit welchen Bildmotiven darf man heute für Legate werben? Dieser Fragestellung sah ich mich vor einigen Jahren als damaliger Präsident der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte gegenübergestellt als es galt, einen Prospekt für Legatewerbung zu kreieren. Wir entschieden uns für eine ikonographisch neutrale, atmosphärisch etwas diffuse Malerei aus einer Freimaurerloge. Nicht unbedingt mutig, dafür ästhetisch. – Und hat dieser Prospekt bereits etwas eingebracht? Tabuloser gefragt: Ist seither schon ein/e Legatsgeber/in gestorben? Es ist ein Charakteristikum des Legatemarketings, dass das «Resultat» (um das in diesem Kontext unpassende Wort «Erfolg» zu vermeiden) sich meist erst nach etlichen Jahren einstellt. Geduldigkeit ist eine besondere Anforderung beim Legatethema. Und ich wette darauf, dass auch die Initianten hinter dem ERBPROZENT KULTUR sich in Geduld üben müssen.
Erbprozent?
Hinter dieser neugierig machenden Wortschöpfung verbirgt sich eine 2015 gegründete gemeinnützige Stiftung www.erbprozent.ch mit Sitz in Herisau und Geschäftsstelle in St. Gallen. Sie verfolgt das Ziel, möglichst viele Menschen für ein Erbversprechen zugunsten dieser Stiftung zu gewinnen. Richtsatz ist, wie der Name schon sagt, ein Prozent des künftigen Nachlasses. Der Prozentsatz des Nachlassvermögens eines sog. Erbversprechenden ist natürlich nach oben offen, respektive bloss durch allfällige Pflichtteile begrenzt. Besonders ungeduldigen Wohltätern ist es selbstverständlich freigestellt, die Stiftung im Rahmen eines sog. Vorlasses, mit einer Schenkung zu Lebzeiten oder mit einem regelmässigen Beitrag zu unterstützen. Die geerbten oder die ihr sonst wie zugeflossenen Mittel verwendet ERBPROZENT KULTUR für die finanzielle Unterstützung von Kulturprojekten, vergleichbar mit den gängigen Förderstiftungen.
Wie finde ich meine Erblasser? – Fragen Sie eine Fachperson!
Das Problem, das ERBPROZENT KULTUR (noch) hat, teilt diese Stiftung mit vielen anderen NPO: den tiefen Bekanntheitsgrad. Mittelsuchenden Organisationen rate ich, die Lösung am Schopf zu packen, dort wo die Regelungen der «Letzten Dinge» zum Alltag gehören, bei den Ärzten, Advokaten, Notaren (meinetwegen auch bei den Seelsorgern) aktiv zu werden. Sie sind die Vertrauenspersonen der künftigen Erblasser und werden von diesen häufig auf deren «Letzten Dinge» angesprochen, beispielsweise mit der Frage konfrontiert: «Was soll nach meinem Tod mit meinem Vermögen geschehen?»
Wenn ihnen als NPO die persönliche Ansprache solcher Fachpersonen zu mühsam ist: Inserieren Sie in der Ärztezeitung und in der Juristenzeitung und versuchen Sie, die entsprechenden Milieus als Fürsprecher für die Zielsetzungen Ihrer gemeinnützigen Organisation zu gewinnen. Das hat nichts mit Erbschleicherei zu, da geht es um Beihilfe zur Problemlösung.
Vereine mit einem überalterten Mitgliederbestand (wie viele gibt es davon!) sollten den Nachteil ihrer «schlechten» Alterskurve ins Gegenteil zu kehren versuchen: ihre Mitglieder ohne falsche Scheu auf die finanziellen Vereinsbedürfnisse direkt ansprechen und auf das Legatethema konkret hinweisen. An jeder Mitgliederversammlung gibt es dafür das Traktandum Varia. Ältere Mitglieder sind ja besonders treu und sollten für die Vereinsziele leichter gewonnen werden können.
Und jedem Präsidium ist zuzutrauen, dass es seinen gestandenen Mitgliedern absichtsvoll, aber in geziemenden Worten die folgende Analyse des Philosophen Ludwig Hasler nahebringt:
«Sinn im Alter ist, an einer Zukunft weiterzuarbeiten auch wenn sie nicht mehr meine eigene ist.»
Bildlegende
Illustration: «Ways to the Place » von Florian Graf, 2018. Foto: Benno Schubiger