Wir Architekturhistoriker und Heimatschützer betonen immer wieder den hohen Stellenwert der historischen Baudenkmäler für unsere Identität und unser Selbstverständnis. Die Reaktionen der überwältigten Augenzeugen des Brandes von Notre-Dame in Paris – in filmischen Reportagen live in die ganze Welt übertragen – haben bewiesen: Ein so bedeutendes Kulturerbe wie die Kathedrale der französischen Hauptstadt gehört tatsächlich zum allgemeinen Kulturerbe einer weltumspannenden Gesellschaft – in deren ganzen Heterogenität.
In Paris eine Brandkatastrophe
Zwar stellte Valentin Groebner in der FAZ echte Trauer um Notre-Dame in Abrede: Dies sei «Lust an der starken Wirkung der Bilder und Lust an der eigenen Wehmut vor Publikum». Ich zweifle daran, dass es eine kollektive Körperbeherrschung oder gar ein massenpsychotisches Phänomen bei den zufällig anwesenden Passanten oder bei den Betrachtern am Bildschirm waren, die Schrecken, Trauer, Lähmung hervorriefen. Für viele war der Kirchenbrand vom 15. April ein so eindrücklicher Moment, dass man es zur Ereigniskategorie mit der zugehörigen Erinnerungsfrage «Wo war ich als ich davon erfuhr?» zählen kann. Der Kennedy-Mord 1963 und 9/11 2001 gehören zu dieser Kategorie, deren Erinnerung uns vor unserem geistigen Auge sofort an jenen Ort zurückkatapultiert, wo wir erstmals von diesen Tragödien hörten. Nie werde ich auch vergessen, dass ich abends am Küchentisch sass, als ich vom Notre-Dame-Brand hörte, wie ich ebenfalls am Küchentisch sass, als ich am frühen Morgen des 18. August 1993 vom Brand der Luzerner Kapellbrücke hörte.
Spenden: ein Ärgernis?
Notre-Dame materialisiert Geist und Zeit in Stein und sublimiert diese in Schönheit. Die vielschichtige Bedeutung dieses Bauwerks spiegelt sich in der sensationellen – und vielkritisierten – Höhe der spontanen Spenden für dessen Wiederaufbau. Lapidar (und korrekt) kontert die NZZ am Sonntag: «Die Kritik verkennt den Kern des Spendens: die Freiwilligkeit». Sachkundig analysierte NZZ Online am 28. April. Ich denke: Wer freiwilligem Spenden Eigennutz unterstellt, der müsste bei der Deckelung/Limitierung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Zuwendungen und Sponsoringbeiträgen ansetzen. (Ob das unter dem Strich eine lohnende Idee wäre, das wage ich zu bezweifeln.)
In Basel ein Jubiläum
Bei uns in Basel stimmte die Meldung des Brandes in Paris besonders nachdenklich. Denn tags zuvor, am Palmsonntag, wurde das Jubiläumsjahr «1000 Jahre Basler Münster» einläutet – vormittags mit einem ökumenischen Gottesdienst im Beisein des Bischofs von Basel, abends mit einem Konzert unter Beteiligung des Choeur Grégorien de Paris, der exakt 24 Stunden nach dem Basler Konzert vom Brand der Notre-Dame erfahren musste. Zudem ist man sich am Rheinknie auch heute in weiten Kreisen bewusst, dass das Münster, bis zur Reformation die Kathedrale des Bistums von Basel, 1356 durch das Basler Erdbeben teilzerstört worden war.
Spenden für ein Kulturprogramm
Im Milleniumsjahr, welches der Weihe des Basler Münsters im Beisein des Kaisers Heinrich II. am 19. Oktober 1019 gedenkt, ist der spätromanische Bau mit den gotischen Zutaten identitätsstiftend besonders präsent: nicht nur im Stadtbild, sondern auch im Leben der Stadt. Entgegen einer älteren Ankündigung sind Teile des Münsterchores doch eingerüstet. Zahlreiche kirchliche und vor allem kulturelle Institutionen haben sich zusammengetan, um in einem reichhaltigen Programm vom Frühjahr bis in den Herbst hinein die vielschichtige Rolle dieser Hauptkirche in der Geschichte der Stadt und ihrer Gesellschaften erlebbar zu machen, in Gottesdiensten, Konzerten, Ausstellungen, Publikationen etc. Etliche gemeinnützige Förderstiftungen und auch eine Mäzenin beteiligen sich finanziell grosszügig an diesen Aktivitäten, nebst Evangelisch-reformierter Kirchgemeinde und dem kantonalen Lotteriefonds. Einen besonders nachhaltenden Beitrag ans Jubiläumsjahr bildet die Herausgabe der ersten umfassenden Buchmonographie über das Basler Münster durch die Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Am 19. Oktober 2019 erlebt dieses Werk eines Autorenkollektivs von Historikern, Kunsthistorikerinnen und Archäologen seine Buchtaufe.
Über das Jubiläumsjahr hinaus Bestand hat natürlich die Stiftung Basler Münsterbauhütte, die seit ihrer Gründung 1986 für den Unterhalt des Münsters sorgt. Sie wird durch den Verein Freunde der Basler Münsterbauhütte finanziell und ideell unterstützt. Diese Freunde bilden ein wichtiges Bindeglied mit der städtischen Gesellschaft und verkörpern ihr jeweils persönliches Sorgetragen für ihr Münster
Kultur ist umspannend
Mit der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister ist das Basler Münster (wie übrigens auch die Kathedrale von Freiburg und das Berner Münster) in ein weitgespanntes Netzwerk eingewoben. Wenige Tage nach dem Brand in Paris bekundete die Dombaumeistervereinigung seine Solidarität mit Notre-Dame durch ein konzertiertes Glockenläuten durch ihre Dome, Münster und Kathedralen. Dem jubilierenden Basler Münster erweisen die Europäischen Dombaumeister ihre Referenz dann im Oktober mit der Durchführung ihrer Jahreskonferenz in Basel.
Den informellen Abschluss findet das Basler Milleniumsjahr übrigens erst im April 2020, mit der Aufführung von Gustav Mahlers 2. Sinfonie (der sog. «Auferstehungssinfonie») im Basler Münster. Schon 1903 war sie dort erklungen, unter dem Dirigat ihres Komponisten sogar. Im Schlusssatz wird der Chor – vielleicht auch für Notre-Dame – die Verse von Friedrich Gottlieb Klopstock singen: «Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du».
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