In diesen Tagen kommt der neue Film von Sabine Boss, «Jagdzeit», in die Kinos. Er thematisiert einen Machtkampf auf der obersten Führungsetage eines (fiktiven) Schweizer Unternehmens der Autoindustrie. Der Film ist kein Dokumentarfilm, sondern ein packender Spielfilm, der auf wahren Begebenheiten beruht. Er zeigt die Zuspitzung des Machtkampfs zwischen den beiden Protagonisten, aber auch das passive Verhalten der Umgebung der beiden, sowohl in der Firma als auch privat. Der Kampf eskaliert und endet – ohne Happyend – tödlich. Mein persönliches Rating: 5 von 5 Sternen. Meine Empfehlung: ein must-see für alle Manager und Linienvorgesetzten, aber auch für alle Menschen, denen es nicht gleichgültig ist, was an ihrem Arbeitsplatz geschieht.
Im November 2019 hat sich die Stiftung Pro Mente Sana lizenzieren lassen, den australischen Kurs «Erste Hilfe Gespräche über Suizid» in der Schweiz anzubieten und ich bin dafür geschult worden. Im Kurs lernen die Teilnehmenden – Laien sind das Zielpublikum – die drei Schritte der ersten Hilfe bei Menschen mit Suizidgedanken oder -absichten. Diese sind schnell erklärt:
1. Suizidgedanken direkt ansprechen
2. Für Sicherheit sorgen
3. Professionelle Hilfe vermitteln.
Voraussetzung dafür, erste Hilfe leisten zu können, ist, Mythen zu korrigieren, Vorurteile zu überwinden, die Fakten zu kennen und die Warnzeichen lesen zu lernen. Ein zentraler Teil des Kurses ist dem eigenen Erleben gewidmet: in Rollenspielen üben die Kursteilnehmenden, die schwierigen Fragen zu stellen. Denn beim ersten Mal ist es fast unmöglich direkt zu fragen «denkst du an Suizid?» oder «willst du dir das Leben nehmen?» Einmal Gesagtes geht beim nächsten Mal leichter über die Lippen. Darum ist von der Kurszeit von 4 Stunden viel Zeit für Übungen vorgesehen. Diese Kurse bieten wir ab April 2020 zuerst in der Deutschschweiz an. Info und Anmeldung unter www.ensa.swiss
Warum erzähle ich vom Film «Jagdzeit» und unserem neuen Angebot? Mich hat nicht nur die Darstellung des Machtkampfs der beiden Topmanager erschüttert, sondern auch die Hilflosigkeit der «Zuschauer*innen» im Film – und damit meine ich nicht das Publikum, sondern die Menschen in dieser Firma, Verwaltungsrat, Geschäftsleitung, Mitarbeitende, aber auch die Angehörigen der beiden Protagonisten. Alle schauen zu, hilflos, und leiden selbst am sich eskalierenden Drama. Niemand «macht» etwas, obwohl bald klar wird, dass das alles nicht gut kommen kann.
In der Schweiz töten sich über 1‘000 (ohne assistierte Suizide) Menschen pro Jahr selbst. Damit sterben rund dreimal mehr Menschen an Suizid als im Strassenverkehr. Der Nothelferkurs für physische Gesundheit ist für künftige Autofahrer*innen obligatorisch. Millionen investieren wir in die Verkehrssicherheit. Warum sind wir als Gesellschaft so knausrig, wenn es um die Prävention von Suizid geht? Ich bin froh, ist die Regisseurin Sabine Boss dem Wunsch nach einem Happyend widerstanden. Es wäre nicht glaubhaft und entspricht nicht der Realität in der heutigen Schweiz. Ich gebe aber meine Hoffnung nicht auf, dass in einer näheren Zukunft Tausende gelernt haben, was zu tun ist, wenn sie bei Mitmenschen Warnzeichen sehen, die auf Suizidgedanken hindeuten, und befähigt sind, erste Hilfe zu leisten. Die Schweizer Suizidrate ist viel zu hoch, sie lässt sich senken. Durch unser Wahrnehmen, Hinschauen und Engagement. Wenn ich vor 12 Jahren gewusst hätte, was ich heute über Erste Hilfe bei Suizidgedanken weiss, wäre mein bester Freund François vielleicht noch am Leben. Warten Sie nicht, bis Sie einen lieben Menschen so verloren haben.