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Das Ende der Unbekümmertheit

Hilfswerke verfügen seit jeher über viel Rückhalt in der Gesellschaft. Aber sie riskieren aktuell, viel mehr als ihren guten Ruf zu verlieren. Fünf Massnahmen wie Hilfswerke fit für die Zukunft werden.
In der Schweiz häufen sich aktuell die Hiobsbotschaften von Nonprofit-Organisationen (NPO). Das «Hilfswerk der evangelischen Kirchen der Schweiz» (HEKS) musste 25 Stellen streichen und sucht das Heil in einer Fusion mit «Brot für alle». Die Stiftung «Terre des Hommes» berichtet ein unerwartetes Minus von 14 Mio. CHF in der aktuellen Jahresrechnung und streicht als Gegenmassnahme 60 Stellen und erwägt sogar einen Immobilienverkauf. Green Cross Schweiz entlässt die Geschäftsführerin, nachdem man gravierende Ungereimtheiten in der Bilanz festgestellt hat. Aber nicht nur finanziell und organisatorisch weht den NPO ein rauher Wind ins Gesicht. Im Asyl- und Flüchtlingswesen ist ORS Service AG zum grossen Player aufgestiegen, während traditionelle Akteure wie die Heilsarmee und Caritas Aufträge verlieren. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen von Partnern des WWF in Nepal oder der Skandal um verwerfliche Handlungen von Oxfam-Mitarbeitenden zeigen, dass NPO-Projekte unter genauer Beobachtung stehen.
Aus rechtlicher Betrachtung wurde schon vor Jahren ein Paradigmenwechsel verzogen, in dessen Folge Gesetze nicht mehr nach Rechtsformen, sondern nach Grössenordnungen differenziert werden. Dadurch unterstehen gerade grosse Hilfswerke oft den gleichen gesetzlichen Grundlagen wie Unternehmen, wo früher Ausnahmen möglich waren. Weiterhin führen neue internationale Regelungen wie beispielsweise das Submissionsgesetz zu weiterer Konkurrenz: Unternehmen und Hilfswerke aus dem In- und Ausland können sich um die gleichen öffentlichen Aufträge bemühen. Gleichzeitig werden internationale Fördertöpfe strenger reguliert. So hat die EU kürzlich bekannt gegeben, dass schweizerische Hilfswerke keinen Anspruch mehr auf Förderung im Bereich der humanitären Hilfe haben (ECHO). Auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) passt ihre Vergaberichtlinien an und will dadurch mehr Wettbewerb unter den Hilfswerken erzeugen.
All diese Entwicklungen belegen ein aktuelles Umfeld mit weniger Vertrauensvorschuss und mehr Konkurrenz. Die folgenden fünf Massnahmen können Hilfswerken helfen, auch in Zukunft ihre Mission erfolgreich zu erfüllen:

1. Vorstände und Stiftungsräte befähigen

Die Mitwirkung im Vorstand oder Stiftungsrat wird heute immer noch als Ehrenamt verstanden. Gerade auch staatliche Institutionen, allen voran die Steuerverwaltungen, halten an diesem Bild fest. Dabei ist Ehrenamtlichkeit nicht zwingend notwendig für eine wirksame Zweckerfüllung. Denn das Problem ist nicht die Frage der Honorierung, sondern mit welcher Einstellung ein solches Amt übernommen und ausgeführt wird. Hier besteht in vielen NPO ein Steigerungsbedarf. Vorstände und Stiftungsräte sollten als Teil der Organisation ihre eigene Leistungsfähigkeit überprüfen und notfalls verbessern. Dazu dienen Governance Self Assessments Tools, die eine strukturierte Auseinandersetzung mit den Aufgaben und der Struktur eines Leitungsgremiums ermöglichen.

2. Entwicklung von Finanzkompetenz

NPO erzielen ihre Erträge nicht aus Leistungen, sondern durch Beiträge von Spendern, Stiftungen, Unternehmen oder dem Staat. Dabei stehen Hilfswerken viele verschiedene Finanzierungsinstrumente offen, aber jedes kostet auch Ressourcen, Knowhow und erhöht den Kontrollaufwand. Hierfür sind fundierte Kenntnisse im Finanzmanagement wesentlich. Es geht um Fragen wie Finanzierungsmix, Liquiditätsplanung oder die Offenheit gegenüber neuen Geldgebern wie sozialen Investoren.

3. Eine Wirkungsorientierung implementieren

Viel zu lange wurde unter Wirkung nur die Messung von Projektergebnissen verstanden. Dementsprechend werden mit unzähligen und oftmals teuren Methoden einzelne Projekte evaluiert. Eine Bewertung der Gesamtwirkung einer Organisation findet jedoch kaum statt. Diese beginnt bei einer strategischen Auseinandersetzung mit Wirkung im Vorstand, aus der eine entsprechende Umsetzung folgt. Darauf folgt eine Evaluation und aus den Ergebnissen müssen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

4. Transparenz und Ehrlichkeit in der Berichterstattung

In der Schweiz besteht dank FER 21 und Zewo-Gütesiegel ein international hoher Standard, was die Finanzberichterstattung von Hilfswerken betrifft. Leider sind dies nur wenige Hundert von weit über 90’000 NPO im Land. Gerade aber im Zusammenhang mit der Wirkungsorientierung und der kritischen Haltung der Öffentlichkeit reicht buchhalterische Transparenz allein nicht mehr aus. Wenn Wirkungsorientierung mehr Gewicht bekommt, müssen NPO lernen über Misserfolge zu kommunizieren. Wer nicht selbst über Fehler berichtet, über den werden es andere tun und dann ist der Reputationsschaden noch viel grösser.

5. Innovationen fördern und neue Technologien einbinden

Aufgrund der überhöhten Fokussierung auf Administrationskosten scheuen NPO in aller Regel jede Form der Investition, sei es in Gebäude, in Weiterbildung oder in Technik. Dies führt letztlich zu einem Investitionsstau, dessen Bewältigung viel teurer werden kann. NPO können nicht jeden neuesten Trend mitgehen, aber sie sollten auch nicht das Schlusslicht sein. In der Praxis gibt es hier schon einige Vorbilder wie die Kooperation zwischen UNICEF und der Universität Zürich zur Kinderwohlfahrt oder die Nutzung innovativer Technologien beim IKRK, das Gesichtserkennungssoftware für Familienzusammenführungen nutzt.
Die eingangs erwähnten Probleme von Hilfswerken haben sehr unterschiedliche Gründe. In ihrer Häufung verdeutlichen sie aber, dass der Druck auf NPO zunimmt und ein Stück Unbekümmertheit verloren gegangen ist. Ein Vorteil für diesen Prozess ist, dass alle NPO in ihrer Geschichte durch mehr als eine substanzielle Krise gegangen sind und somit die Bewältigung schwieriger Umstände Teil der Organisationskultur ist.
Zum Originalartikel von Georg v. Schnurbein

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