Hat die Schweizer Stiftungslandschaft einen «Röstigraben»? Gibt es einen «Polentagraben»? Obwohl es regionale Unterschiede in den Stiftungszwecken gibt, dürften die wenigsten direkt auf sprachkulturelle Einflüsse zurückzuführen sein.
Westschweiz: mehr gesellschafts- und wirtschaftspolitische Anliegen, weniger soziale Direkthilfe
Ungefähr proportional zu den jeweiligen Bevölkerungsanteilen umfassen die Romandie rund 30% der Schweizer Stiftungen, die Deutschschweiz 64% und die italienische Schweiz (vertreten durch den Kanton Tessin) 6%. Der Vergleich der regionalen Stiftungssegmente nach Wirkungsbereichen (s. Tabelle) zeigt, dass in der Westschweiz im Vergleich zur Deutschschweiz etwas weniger im Bereich des Sozialen – genauer, der sozialen Fürsorge – und des Umweltschutzes begünstigt wird (-6%/-3%). In diesen Themen sind denn auch die Stiftungen der meisten Westschweizer Kantone ähnlich schwach präsent. Stiftungen in den Bereichen Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sowie internationale Stiftungen sind in der Romandie allerdings etwas stärker vertreten als in der Deutschschweiz (+2%/+3%/+3%), was insbesondere auf die im Kanton Genf angesiedelten Organisationen zurückzuführen ist. Weiter wird die Westschweizer Stiftungslandschaft besonders geprägt vom Kanton Waadt, dessen rund 1’400 Stiftungen eher thematisch fokussiert begünstigen. Die Bereiche Gesundheit, Bildung und Forschung sind stärker abgedeckt, Stiftungen im Bereich Tanz, Theater und Performance sind nirgends in der Schweiz stärker vertreten. Die Kantone Freiburg und Wallis haben durch die römisch-katholische Tradition überdurchschnittlich viele Stiftungen mit christlichem Förderzweck hervorgebracht, Walliser Stiftungen sind des Weiteren überdurchschnittlich im Denkmal- und Heimatschutz aktiv. Stiftungen in den Kantonen Jura und Neuenburg fördern überdurchschnittlich stark Anliegen im Bereich der bildnerischen Kunst, jurassische Stiftungen sind zudem stark in der Grundausbildung und im Umwelt- und Tierschutz aktiv. Neuenburger Stiftungen haben schliesslich gesamtschweizerisch das höchste Durchschnittsalter, umfassen sie doch viele ältere soziale und gesundheitliche Organisationen.
Italienische Schweiz: breitere Stiftungszwecke, mehr Bildung, Wissenschaft und Religion
Tessiner Stiftungen neigen im Vergleich zu Deutschschweizer Stiftungen zu breiteren Stiftungszwecken, weswegen diese Organisationen auch in einer Vielzahl von Wirkungsbereichen proportional etwas stärker vertreten sind. Bedeutend populärer als in der Deutschschweiz sind jedoch religiöse, bildende, wissenschaftliche sowie gesellschafts- und wirtschaftspolitische Zwecke.
Ob sich die Einteilung nach Sprachregion, wie sie so oft zum Diskurs politischer oder kulturellen Themen beigezogen wird, für die Beschreibung verschiedener Stiftungssegmente eignet, ist fraglich. Stiftungen siedeln sich insbesondere entlang der Ballungsgebiete an, wodurch die lokalen und kantonalen Kontexte im Allgemeinen die grösseren Unterschiede zwischen Stiftungssegmenten hervorrufen als die spezifischen Sprachregionen, deren Effekt so schwer isolierbar ist.